Newsletter: Mein erstes Jahr im Europäischen Parlament

Datum

Dr. Pierrette Herzberger-Fofana 

Mein erstes Jahr im Europäischen Parlament 

Strasbourg. Hémicycle 

Bereits ein Jahr im Europaparlament! Als ich mich zur Wahl stellte, wollte ich auf ein antirassistisches, solidarisches, feministisches und grünes Europa hinarbeiten. Und diesen Zielen geht es Schritt für Schritt entgegen, mutig und beharrlich! 

Das Europäische Parlament 

Längst bin ich an meinem Hauptarbeitsort – Brüssel – angekommen. Einmal monatlich sind wir in Straßburg, dort finden die meisten Debatten und Abstimmungen statt. Bereits achtmal Mal habe ich dort im Plenarsaal das Wort ergriffen. Es ist erfüllend, im Bewusstsein, für ein menschenwürdiges Europa zu kämpfen, zu sprechen. 

Leipzig Bündnis90/Die Grünen. Henrike Hahn (vorn neben mir mit dem roten Kleid) 

Zwei für Bayern 

Mit Henrike Hahn und mir werden die bayerischen Grünen im Europaparlament vertreten. Ich habe die Grünen bei der Kommunalwahl in Bayern unterstützt und an Veranstaltungen in Erlangen und Nürnberg, sowie an der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG)-Frauen und der Bundesarbeitsgemeinschaft Entwicklung teilgenommen. 

Mit Lisa Badum (MdB) und Astrid Wagner (LAG-Frauen Bayern) 

Auf den Veranstaltungen, an denen ich teilnehme und bei den Vorträgen, die ich halte, liegt mein Augenmerk immer besonders darauf, junge Menschen für politische Themen zu begeistern, mit ihnen ins Gespräch zu kommen, ihnen zuzuhören und sie in ihrem Engagement zu unterstützen. Ich weiß, welche Kraft in den Ideen junger Menschen steckt – mich selbst hat die Energie aus meiner Jugend und ihrer Neugier durch mein ganzes bisheriges Leben getragen. 

Ein Video-Interview mit Jugendlichen in Ansbach können Sie unter dem Link https://www.bjr.de/service/umgang-mit-corona-virus-sars-cov-2.html ansehe. 

Im Folgenden ein Überblick über meine Themen und Ämter im Europäischen Parlament: 

1.Stellvertretende Vorsitzende des Entwicklungsauschusses (DEVE) 

Dieses Jahr ist entscheidend für die EU-Afrika-Beziehungen, denn das „Post-Cotonou-Abkommen“ ist Ende Februar abgelaufen und die Verhandlungen mit den AKP-Staaten für ein neues Abkommen laufen bereits auf Hochtouren. Als Schattenberichterstatterin für die neue EU-Afrika-Strategie konnte ich auf Themen wie Ernährungssicherheit und Geschlechtergerechtigkeit aufmerksam machen. 

Brüssel. DEVE.Entwicklungsausschuss 

Die Verhandlungen zeigen deutlich auf, dass ein neuer Ansatz für Zusammenarbeit etabliert werden muss. Mein Ziel ist es, einen authentischen Dialog zu schaffen, aus dem nicht nur politische Kohärenz, sondern auch eine tatsächliche Beziehung entsteht. 

In meiner Funktion im Rahmen von DEVE habe ich darüber hinaus im Rahmen parlamentarischer Missionen an Konferenzen in Kenia, Ruanda, Lesotho und Ghana teilgenommen, um mit unseren Partnern*innen den Dialog auf Augenhöhe zu intensivieren. 

Nairobi. Kenia. EU-Delegation mit Jugendlichen aus Kenia-Uganda und Tansania 

Was das konkret für mich bedeutet? Einen Gestus des Zuhörens zu etablieren, der nicht vorwegnimmt, was aus europäischer Sicht „gut“ ist für Afrika. Augenhöhe bedeutet für mich, wirklich zuzuhören und ernst zu nehmen, was mein Gegenüber selbstverantwortlich einfordert! 

2. Stellvertretende der Delegation für die Beziehungen zum Panafrikanischen 

Parlament (DPAP) 

Brüssel 4.2.2020 Veranstaltung „End FGM“, mit ngos wie „End FGM“, Terre des Femmes,“Lessan“ 

Mit seiner 2009 eingerichteten Delegation für das Panafrikanische Parlament (PAP) hat das EU-Parlament Formen der Zusammenarbeit mit der Afrikanischen Union entwickelt. Das europäische Parlament und das Panafrikanische Parlament gewährleisten die demokratische Kontrolle der Umsetzung der gemeinsamen Afrika-EU-Strategie. Diese wurde 2009 etabliert und verfolgt das Ziel, gemeinsamen Prioritäten den Weg zu ebnen. Zusätzlich zu den Sitzungen im Europäischen Parlament nimmt die DPAP jedes Jahr an einer der zwei Sitzungen des Panafrikanischen Parlaments in Midrand (Südafrika) teil. 

Zu den Schwerpunkten der jüngsten Sitzung zählten der Fahrplan für die gemeinsame Afrika-EU-Strategie 2018-2020, die Weiterentwicklung völkerrechtlicher Belange nach dem Ende des Cotonou-Abkommens und die sicherheitspolitische Zusammenarbeit zwischen der Afrikanischen und der Europäischen Union. Leider wurde die Sitzung aufgrund der Corona-Situation annulliert. 

Was mein Anspruch im Rahmen der DPAP an mich selbst ist? Als Europaabgeordnete afrikanischer Herkunft aufzuzeigen, dass es Wege gibt, die vereinend und stärkend wirken können! 

3. Stellvertreterin des Ausschusses für die Rechte der Frau und die 

Gleichstellung der Geschlechter (FEMM) 

Meine Schwerpunkte hier sind Gewalt an Frauen, Seniorinnen, weibliche Genitalverstümmelung (FGM), schwarze Frauen bzw. Black and „People of 

Colour (BPoC)“, Migrantinnen und Frauen in der Diaspora sowie Frauen und Diskriminierung. 

Strasbourg, 2.2.2020 mit den „Grünen“ EFA 

Als Schattenberichterstatterin innerhalb meiner Fraktion war ich zuständig für Entschließungen zur Bekämpfung von FGM und für Strategien rund um die Themen reproduktive Gesundheit und sexuelle Aufklärung. Bei der entsprechenden Debatte im Plenarsaal habe ich eine Rede über „Die Strategie der EU, der Genitalverstümmelung in der Welt ein Ende zu setzen“ gehalten. 

Auf der internationalen Konferenz über Bevölkerung und Entwicklung in Nairobi (Kenia), an der ich im November vergangenen Jahres ebenso als Schattenberichterstatterin mitwirkte, wurden Teilnehmer*innen aus rund 100 Länder zusammen an einen Tisch gebracht. 

Brüssel. Meine Veranstaltung über „Feminismus und Intersektionalität“. Mit den Teilnehmerinnen 

Wir diskutierten dort unter anderem über die Lage der Rechte der Frauen in der Welt. Schwerpunkt dabei waren offene Fragen bezüglich des ICPD-Aktionsprogramms, das 1994 verabschiedet wurde und die reproduktive Gesundheit und sexuelle Rechte des Menschen in den Mittelpunkt der Bevölkerungspolitik stellt. 

Nairobi. Die EU-Delegation mit der Vorsitzende (4.v.rechts) von der ICPD Konferenz 

Mein Ziel dort war nicht zuletzt, das Engagement zivilgesellschaftlicher Organisationen und die Notwendigkeit ihrer Unterstützung durch die Regierungen hervorzuheben. Reproduktive Gesundheit und Rechte sind ein international kontrovers diskutiertes Thema, das habe ich auf der 

Konferenz ein weiteres Mal sehr deutlich gemerkt – es wurde heftig debattiert, die Diskussionen wurden mitunter boykottiert und als nicht relevant abgetan. Hier hieß und heißt es für mich weiterhin im Dialog stark und respektvoll zu bleiben, differenziert zu argumentieren und immer wieder dort anzuknüpfen, wo schon positive Entwicklungen zu verzeichnen sind. 

Nairobi. Die EU-Delegation mit Jugendlichen aus Kenia, Uganda, Tansania 

Zu meiner Freude konnte ich im Rahmen der Konferenz mit vielen Jugendlichen und jungen Erwachsenen sprechen, die sich mit viel Engagement innerhalb zivilgesellschaftlicher Organisationen zu den genannten Themen einbringen. Deren Forderungen und Ideen bezüglich sexueller Aufklärung gilt es zuzuhören und sie von Regierungsseiten her zu unterstützen. Mein Ohr konnte ich ihnen geben, meine Stimme erhebe ich für sie nach Kräften! 

4. Stellvertreterin der Delegation in der Paritätischen Parlamentarischen Versammlung AKP-EU (Afrika, Karibik, Pazifik Europa) (DACP) 

Kigali. Ruanda Treffen mit der Delegation aus dem Senegal 

Auf der jährlichen Konferenz in Kigali (Ruanda) sind 106 Länder aus der EU, Afrika, der Karibik und des Pazifiks vertreten und debattieren dort. Ich habe mich auf der diesjährigen Konferenz in mehreren Reden zu folgenden Themen geäußert: Gewalt an Frauen in Konfliktregionen. Migration und Jugend. Biodiversität. Der Milchsektor und seine negativen Auswirkungen auf die Wirtschaft der Sahel-Länder. 

Kigali. Mit der Vize-Präsidentin der Nationalversammlung von Ruanda und dem Hon. Abgeordneten von Togo 

Letzteres ist eine Thematik, deren Brisanz ich auch zukünftig unterstreichen möchte. Die diesbezügliche aktuelle Politik läuft den Zielen der nachhaltigen Entwicklung (SDG) zuwider. Ich möchte, sehr grob umrissen in konkrete Worte fassen, was hier unter anderem passiert: Kuhmilch afrikanischer Herkunft, die vorwiegend von Frauen in landwirtschaftlichen Kleinstbetrieben erwirtschaftet wird, wird von Europa importiert, dort in Milchpulver umgewandelt, und dieses zu Billigstpreisen wieder in afrikanischen Ländern verkauft. Wirtschaftliche (Un-)Wege solcher Art gilt es sichtbar zu machen – und zu verändern, nicht zuletzt, um die wirtschaftliche Existenz vieler afrikanischer Frauen und ihrer Familien zu sichern! 

5. Stellvertreterin des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten 

(AFET) 

In vielen chinesischen Städten ist es nach dem Ausbruch der Pandemie zu massiven rassistischen Handlungen gegenüber Bürger*innen afrikanischer Herkunft gekommen. Sie wurden unter Generalverdacht gestellt, das Virus „mitgebracht“ zu haben und wurden Hotels, Restaurants und Wohnungen verwiesen. 

Brüssel. Abgeordneten des EP. Kundgebung Solidarität mit Geflüchteten. 

Als Stellvertreterin des AFET-Ausschusses koordinierte ich unter anderem einen Brief an den hohen Vertreter der EU für auswärtige Angelegenheiten, in dem ich dazu aufforderte, diese perfide Konsequenz der Covid-19-Pandemie sichtbar zu machen und hörbar zu verurteilen. Was mir diese Vorkommnisse auf chinesischem Boden zeigen? Dass Rassismus eine weltumspannende Konstante ist, gegen die wir nicht aufhören dürfen aufzustehen! 

6. Mitglied der Delegation im parlamentarischen Ausschuss Karibik- 

Forum (CARIFORUM) 

Mit dem Vorsitzenden des Cariforums (3.v.links ) und Botschafter*innen des Karibischen Raums 

Das Karibische Forum (CARIFORUM) steht als Vereinigung afrikanischer, karibischer und pazifischer Staaten (15 Staaten der Karibischen Gemeinschaft und die Dominikanische Republik) im wirtschaftlichen Dialog mit der Europäischen Union. Der Vorsitzende dieses Forums stammt aus La Réunion, also einer Region Frankreichs in Übersee. 

Worauf ich in diesem Zusammenhang und mit dieser Delegation mein Augenmerk legen möchte? Natürlich auch hier wieder auf den gleichberechtigten Dialog. Darüber hinaus möchte ich aber auch die Gelegenheit wahrnehmen, den Blick zu weiten und sichtbarer zu machen, dass Europa also ganz faktisch bis über den Pazifik reicht. La Réunion, Martinique, Guadeloupe, um nur einige zu nennen, sind nicht zuletzt symbolische Beispiele dafür, dass EU-Grenzen nicht greifbar sind und es weltweite Verflechtungen gibt. Wem „gehört“ was warum? Wer trägt wofür Verantwortung? Das sind Fragen, die wir in Anbetracht der aktuellen Weltlage immer wieder stellen müssen – ohne der Komplexität möglicher Antworten auszuweichen! 

7. Co-Vorsitzende der interfraktionellen Arbeitsgruppe des 

Europäischen Parlaments für Antirassismus und Vielfalt (ARDI) 

Brüssel. ARDI-Sitzung mit der Kommissarin Helena Dalli 

Gemeinsam mit meinen Kollegen*innen bekämpfen wir den Rassismus in Europa und setzen uns für Vielfalt und Integration in unseren Gesellschaften ein. Ich arbeite mit vielen Menschen aus verschiedenen Organisationen zusammen, um unsere Stimmen auf europäischer Ebene zu hörbar zu machen. 

Washington 11.9.2020 Mit Jesse Jackson 

Im September 2019 reiste ich nach Washington und nahm am Congressional Black Caucus, der Vereinigung afroamerikanischer Mitglieder des Kongresses der Vereinigten Staaten, teil, um mich auf 

internationaler Ebene über das Thema Rassismus und dessen Bewältigung auszutauschen. Ich wurde auch an die Howard University eingeladen, um dort einen Vortrag über Schwarze in Europa und meine Erfahrungen als erste in Afrika geborene und in Deutschland gewählte Europaabgeordnete zu halten. Bei einem privaten Treffen mit Jesse Jackson, dem ehemaligen Wegbegleiter von Martin Luther King diskutierten wir die Notwendigkeit transatlantischer Solidarität im Rahmen der „Black Lives Matter“ Bewegung. Für meinen verstorbenen Freund und Zeitzeuge, Theodor Michael fand Jesse Jackson bei dieser Zusammenkunft auf meine Bitte hin segnende Worte – in Form einer Video-Botschaft -einen Monat bevor Theodor Michael starb. Ich denke die Weltgemeinschaft lebt mitunter von solchen Momenten der internationalen Verbundenheit. 

Nürnberg. Black Lives Matter“: 5000 Menschen demonstrieren gegen Rassismus 

https://www.nordbayern.de/region/nuernberg/black-lives-matter-5000-menschen-demonstrieren-gegen-rassismus

https://cdn.nordbayern.de/region/erlangen/blacklivesmatter-demonstration-in-erlangen-1.10166969

‚Black Lives Matter‘ beschäftigt uns intensiv auch im Europäischen Parlament. Kürzlich, nach dem Tod von George Floyd, verfasste ich einen Brief an die EU-Kommission, in dem ich die EU aufforderte, Schritte gegen den institutionellen Rassismus in unseren Gesellschaften hier in Europa einzuleiten. 

Dr. PHF Home Office 

Am 28. Juli 2020 hielt ARDI eine Videokonferenz mit der Kommissionspräsidentin der EU, Ursula von der Leyen, ab. Wir tauschten unsere Positionen bezüglich der Umsetzung des nächsten Aktionsplans gegen Rassismus aus. Ich begrüße es, dass die Präsidentin der Idee eines/einer Koordinators/Koordinatorin für den Kampf gegen Rassismus in der Europäischen Union offen gegenüber stand. Auch schätze ich es, dass sie die Notwendigkeit anerkennt, ARDI in die Erarbeitung des EU-Aktionsplans gegen Rassismus aktiv miteinzubeziehen. 

Gemeinsam wird es uns gelingen, den Rassismus zu bekämpfen und für ein Europa zu stehen, das Gleichberechtigung gewährleistet. Was mir in diesem Kampf besonders wichtig ist? Dass wir es schaffen, eine Erweiterung unserer Vorstellungen von Gerechtigkeit und Verantwortung zu ersinnen, nicht zuletzt in unseren Herzen. 

Straßburg. Mein Büro. 

Was bleibt nach dem ersten Jahr als Abgeordnete des Europäischen Parlaments? 

Freude darüber, grüne Standpunkte in Brüssel und Straßburg vertreten zu dürfen. Mut, mich weiterhin klar und kämpferisch in die europäische Politik einzubringen. Wertschätzung meiner Mitstreiter*innen auf diesem Weg des Engagements. Und nicht zuletzt: großer Respekt vor der Verantwortung, die mir mit meinem Mandat gegeben wurde. Vielen Dank an alle Unterstützer*innen! 

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