Deutschlands Verantwortung für Genozid in Namibia

Datum

Nach dem Abschluss fünfjähriger Verhandlungen zwischen Vertreter*innen der Bundesregierung und der namibischen Regierung äußert sich Heiko Maas am 28. Mai 2021 unter anderem mit folgenden Worten zu den zwischen 1904 und 1908 von deutschen Kolonialtruppen verübten Massakern an indigenen Volksgruppen in Namibia:

« Wir werden diese Ereignisse jetzt offiziell auch als das bezeichnen, was sie aus heutiger Perspektive waren: ein Völkermord. ».

Berlin 29.8.2018. Demonstration der Hereros vor dem Französischen Dom während der offiziellen Rückgabe der Schädel.

Es ist erfreulich, dass sich Deutschland im Rahmen des nun auf den Tisch gebrachten Abkommens dazu durchringen konnte, „Namibia und die Nachkommen der Opfer um Vergebung zu bitten“. Es ist auch erfreulich, dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eine Reise nach Namibia plant, um vor dem dortigen Parlament eine Entschuldigung auszusprechen. Die Vorgehensweise der Bundesregierung ist jedoch in noch größerem Maße problematisch und zeigt, dass noch nicht verstanden wurde, welche Schritte notwendig wären, um die deutsche Kolonialgeschichte in Ansätzen aufzuarbeiten und ihre Konsequenzen zu schultern.

Es sind Gräueltaten, die deutsche Truppen unter dem Befehl Lothar von Trothas Anfang des 20. Jahrhunderts an den Volksgruppen der Herero und Nama im Kampf um Land und Macht begangen haben:

Ich, der große General der deutschen Soldaten, sende diesen Brief an das Volk der Herero. […] Das Volk der Herero muß jedoch das Land verlassen. Wenn das Volk dies nicht tut, so werde ich es mit dem Groot Rohr dazu zwingen. Innerhalb der Deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auf sie schießen.“[1]

Die Vereinten Nationen definieren Völkermord als eine Reihe von Handlungen, die in der Absicht begangen werden, eine nationale, ethnische  oder religiöse Gruppe ganz oder teilweise zu vernichten. Nicht zuletzt aus dieser Perspektive heraus, erscheint die Betonung der Bundesregierung darauf, dass die damaligen Handlungen aus heutiger – dementsprechend aber nicht aus damaliger Sicht – als Völkermord gewertet werden müssen, würdelos. Die Formulierung macht aus einer wichtigen Entschuldigung eine selektive Entschuldigung. Daran gekoppelt ist aus Sicht der Opfer bzw. ihrer Nachkommen ein weiterer Affront. Anstelle von Reparationszahlungen, die in ihrer Form nicht zuletzt dazu da sind, die Würde der Opfer wieder herzustellen, formuliert die Bundesregierung im Rahmen des Abkommens ein milliardenschweres Programm, das Namibia im Lauf der kommenden 30 Jahre „unterstützen“ soll. Namibia im Rahmen der systematischen Ausrottung zweier Volksgruppen einerseits um Vergebung zu bitten, andererseits aber Zahlungen in einen Sozialhilfe-Kontext zu stellen, veranlasst Vetreter*innen der Opfer zu Recht dazu, das Abkommen als solches abzulehnen.

Deutschland, wie auch andere EU-Mitgliedsstaaten würden gut daran tun, ihr koloniales „Erbe“ wirklich anzutreten. Dies würde im Falle Namibias beispielsweise auch bedeuten, dass Frank-Walter Steinmeier sich nicht darauf beschränken sollte, im namibischen Parlament um Vergebung zu bitten. Vielmehr wäre es zunächst seine Aufgabe, zuhause, also vor deutschen Mitbürger*innen zu sprechen und die Aufgabe, koloniale Verbrechen des eigenen Landes aufzuarbeiten ins kollektive Bewusstsein zu rücken.

Angehörige der Nama und Herero wurden zu damaliger Zeit von kolonialen Streitkräften in die Omaheke-Wüste im Osten Namibias gedrängt, wo sie, wenn nicht ermordet, verhungerten und verdursteten. Schätzungsweise 70.000 bis 80.000 Menschen verloren unter der Kolonialmacht in Namibia ihr Leben. Tausende Schädel der Verstorbenen wurden zu sogenannten Versuchszwecken an das Pathologische Institut der Anthropologischen Abteilung „Rassen- und Sozialhygiene“ in Berlin geschickt. Damaliges „Forschungsziel“ dieser Form des rassistischen Kolonialismus war es, die angebliche Überlegenheit der arischen Rasse gegenüber anderen Völkern und in diesem Fall die der weißen Europäer*innen gegenüber Schwarzafrikaner*innen durch die Analyse der Gesichtsmerkmale der Köpfe der Afrikaner*innen „wissenschaftlich“ zu belegen. Man muss anerkennen, dass und wie furchtbar dieser Abschnitt deutscher Wissenschaftsgeschichte später im Nationalsozialismus zum Tragen kam. Sich den Kapiteln des Kolonialismus selektiv zu stellen, bedeutet auch, Zusammenhänge noch nicht als solche auf die Tagesordnung zu bringen – was etwa im bildungspolitischen Rahmen dringend notwendig wäre, um rassistischen Denkstrukturen ihre Kerntriebe zu nehmen.

Zwar gab es in den Jahren 2011, 2014 und 2018 prominente Rückführungen einiger Überreste der Opfer des Genozids an Namibia, viele, zu viele dieser menschlichen Schädel und auch Gebeine befinden jedoch immer noch im Besitz des Medizinhistorischen Museums der Charité in Berlin, wie auch an anderen deutschen Universitäten oder sogar in Privatbesitz. Für die betroffenen Namibier*innen sind diese in Deutschland aufbewahrten menschlichen Schädel und Gebeine keine Museumsstücke oder historischen Relikte. Sie sind die Überreste ihrer Vorfahren, die zwischen 1904 und 1908 im Zuge der Vernichtung ihres Volkes entwendet wurden.

© Dr. P. Herzberger-Fofana. Berlin.Berlin. Offizielle Zeremonie im Französischen Dom 28.8.2018

So zeigt sich, dass Wunden offen sind und durch dieses Abkommen zunächst auch offen bleiben werden. Entwendete Überreste müssen vollständig zurückgegeben werden. Eingeforderte Reparationszahlungen dürfen nicht in eine Geste münden, die ihren kolonialen Beigeschmack behält und als humanitäre Hilfe bezeichnet werden. Und Nachfahren der Kolonialmächte müssen beginnen, ihr Erbe vollumfänglich anzunehmen. Dafür braucht es vermitteltes Wissen darüber, was in  Geschichtsbüchern bisher übersprungen, vage umrissen oder negiert wird. Wissen, Verstehen und dementsprechende Handlungen würde Vergebung einleiten, dessen bin ich mir sicher. Deutschland muss sich seiner kolonialen Vergangenheit rückhaltlos stellen.

– Dr. Pierrette Herzberger-Fofana

Berlin 2018, Hon. Frau Katrina Hanse-Himarwa, Kulturministerin von Namibia und Frau Michelle Müntefering Staatsministerin im Außenministerium, zuständig für Kulturpolitik.

Quellen :

[1]https://www.bundesarchiv.de/DE/Content/Virtuelle-Ausstellungen/Der-Krieg-Gegen-Die-Herero-1904/der-krieg-gegen-die-herero-1904.html (09.06.2021)

Pierrette Herzberger-Fofana. Berlin 125 Jahre danach. eine fast vergessene deutsch-afrikanische Geschichte. Wien: Afro-Asiatische Institut 2010, 2013, 110S. ISBN978-3-200-02012-2

Pierrette Herzberger-Fofana L’Allemagne restitue 20 crânes humains à la Namibie www.pressafrik.com/L-Allemagne-restitue-20-cranes-humains-a-la-Namibie_a68733.html, www.grioo.com/mobile/article.php?id=21595.12.10.2011

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