Ibrahima Barries Tod wirft Fragen zum Thema Polizeigewalt auf

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Manchmal fragt man sich, ob man angesichts eines solchen tragischen Vorfalls fassungslos oder, eigentlich viel schlimmer, wenig überrascht sein muss: Am vorletzten Samstag, den 9. Januar, starb um 20.22 Uhr mitteleuropäischer Zeit ein junger Mann in einem Brüsseler Krankenhaus, nachdem er kurz zuvor auf einer Polizeiwache das Bewusstsein verloren hatte. Er hieß Ibrahima Barrie. Eineinhalb Stunden vor seinem Tod war er im Rahmen eines Polizeieinsatzes wegen mutmaßlicher Nichteinhaltung von Corona-Regeln festgenommen worden. Barrie war vor Ort und filmte die Polizist*innen in dieser Begebenheit – die Ausübung seines Grundrechts. Er wurde anschließend festgenommen. Medienberichten zufolge ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf fahrlässige Tötung.

Barrie war 23, er war belgischer Bürger guineischer Herkunft. Und er war Schwarz. Was genau zwischen dem Zeitpunkt der Festnahme und seinem Ableben passierte wissen nur die dabei Anwesenden. Barrie, einer davon, kann nicht mehr gefragt werden.

Mehrere hundert Menschen versammelten sich einige Tage nach seinem Tod am Nordbahnhof in Brüssel, um „Wahrheit und Gerechtigkeit“ einzufordern. Die Demonstration verlief Medienberichten zufolge zunächst friedlich, später kam es zu Ausschreitungen. Viele Menschen sind wütend und traurig. Der Familie Ibrahima Barries spreche ich mein aufrichtiges Mitgefühl und Beileid aus.

Die Fragen, die sich im Zusammenhang mit Barries Tod stellen sind vielfältig, aber sie spitzen sich alle in eine Richtung zu.
Warum wird ein junger Mann im Rahmen des oben beschriebenen Polizeieinsatzes festgenommen? Was passiert mit ihm, dass er wenig später einen Zusammenbruch mit Todesfolge erleidet? Welche Form von Hilfemaßnahmen wurden direkt nach dem erlittenen Zusammenbruch wie schnell und vom wem eingeleitet oder unterlassen? Und wäre unter gleichen Umständen einem jungen Mann von weißer Hautfarbe dasselbe passiert? An welchem Punkt hätte die Geschichte einen anderen Weg genommen und aus welchen Gründen?

Es gibt vielerorts in Europa wachsendes Aufbegehren gegen Polizeikräfte bzw. das Gewaltmonopol eines Staates und dies ist sehr kritisch zu betrachten. Und: Struktureller Rassismus existiert und er existiert in Europa. Er führt nicht zuletzt zu unzähligen Fällen von Polizeigewalt und ihren Folgen. Er führt in manchen Fällen zum Exodus. Dieser Tatsache muss sich gestellt werden und es müssen sich konkrete Schritte daraus ableiten. Europaweit sind unabhängige Beschwerdestellen einzurichten, die aufgesucht werden können, wenn es um Meldungen unangemessenen polizeilichen Verhaltens geht, sowie unabhängige, institutionalisierte Stellen, die strittige Fälle an sich ziehen und begutachten können. Es muss sicher gestellt werden, dass Menschen ein fundamentales Vertrauen in die kompetente Ausübung polizeilicher Arbeit haben können. Dass Artikel 20 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, die Gleichheit vor dem Gesetz, für sämtliche Bürger*innen in jeder Begegnung mit der Polizei seine Gültigkeit besitzt. Dann kann polizeiliche Arbeit, die Ahndung von Verstößen und Verbrechen rechtskonform ausgeübt werden. Dann können Menschen sich frei im Rahmen ihrer Rechte und Pflichten bewegen. Ohne solche dringend notwendigen Einrichtungen bleibt Opfern von unangemessener Polizeigewalt bisher dies: Der Gang zur Polizei.
Ibrahima Barrie geht gar keinen Gang mehr, nicht zur Polizei, nicht zu seiner Familie, nicht in Brüssel. Wir sollten ein Auge darauf haben, warum dies der Fall ist.

 

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