Schwarze Menschen im Holocaust – Opfer der Nationalsozialisten

Datum

Brüssel. Dr. Pierrette Herzberger-Fofana, MdEP und die Präsidentin des Europäischen Parlaments, Frau Roberta Metsola. 26.1.2023. © Daina Le Lardic, Europäisches Parlament.

In Anwesenheit Israels Staatspräsidenten Issac Herzog gedachte das Europäische Parlament in Brüssel der Befreiung der Konzentrationslagers Auschwitz und beging den Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust. Der 27. Januar 1945 markiert die Befreiung, den Anfang vom Ende eines unermesslichen Leidens. An diesem Tag wurde das Konzentrationslager Auschwitz befreit, der Ort, an dem allein zwischen 1940 und 1945 mehr als eine Million Menschen getötet worden waren.

Die Vereinten Nationen erklärten den 27. Januar zum „Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust“. Einige Jahre zuvor hatte der Europarat den 27. Januar bereits zum „Europäischen Tag des Gedenkens an den Holocaust und der Verhütung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ erklärt. Zu diesen Opfern gehört die Gruppe der Menschen afrikanischer Herkunft, Afrikaner*innen und Afrodeutschen über deren Leidensweg bisher noch wenig bekannt ist.

Menschen afrikanischer Herkunft, Afrodeutsche, die zur Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland lebten, wurden Opfer der Barbarei der Nazis. Sie wurden diskriminiert, verloren meist ihre Arbeit und die deutsche Staatsangehörigkeit wurde ihnen entzogen. Schlimmer noch sie waren zunehmend von Sterilisation, Inhaftierung und Ermordung bedroht. Im Rahmen des Euthanasieprogramms der Nazis wurden sie als Versuchskaninchen für medizinische Experimente missbraucht. Die direkte Konfrontation mit der Erinnerung an den Holocaust ruft das Ausmaß der Grausamkeiten des Nazi-Regimes in Erinnerung.

Als ich vor etwa 20 Jahren damit begann, die Konzentrationslager und ihre jeweiligen Archive zu besuchen, war ich verblüfft über das, was ich sah und las. Auschwitz, Dachau, Buchenwald, Mauthausen, Neuengamme, Sachsenhausen, Bergen-Belsen. Der Horror dieser Orte ging mir unter die Haut und hat mich seitdem nicht mehr losgelassen. Er hat mich dazu veranlasst, gegen jede Äußerung von Verachtung, Verleugnung und Rassismus gegenüber anderen Menschen zu reagieren. Denn dies ist der Nährboden von Ausgrenzung, Hass und letztendlich Vernichtungsfantasien. Das wissen wir alle.

In der generellen Geschichtsschreibung und Erinnerungskultur an den Holocaust wurde der Mord an Menschen afrikanischer Abstammung nicht berücksichtigt. Sie werden in den Erinnerungsreden nicht genannt, es existiert auch kein Denkmal, das an sie als spezifische Opfergruppe erinnert. Was sagt dies über unsere Gesellschaft und deren Umgang mit Menschen afrikanischer Herkunft aus? Wie steht es um unser kollektives Bewusstsein?

Es geht hier nicht darum, Vergleiche zwischen den verschiedenen Opfergruppen anzustellen. Die Leiden der Nazi-Opfer sind unermesslicher menschlicher Schmerz. Sie können nicht in einem „Wettbewerb der Opfer“ verwandelt werden und schon gar nicht dazu dienen, das „Medienfeld“ zu besetzen (Le Monde 20.3.2005); denn es gibt keine Stufen des Leidens, sondern nur einen einzigen menschlichen Schmerz. Es wird geschätzt, dass etwa 2000 bis 3000 Schwarze oder Menschen afrikanischer Herkunft aufgrund der sogenannten Nürnberger Rassengesetze (1935) ihr Leben verloren haben!

Jedoch, Rassismus gegen Schwarze Menschen ist vielerorts noch immer unbekannt und normalisiert zugleich. Kinder und Jugendliche afrikanischer Herkunft verdienen eine Zukunft, die frei ist von rassistischen Angriffen. Als ehemalige Gymnasiallehrerin weiß ich wie wichtig es ist, über die Verbindung von Geschichtsunterricht und seine Beziehung zum heutigen Rassismus nachzudenken. Dieser muss, ebenso wie die Forschung in dem Bereich um die Schicksale von Menschen afrikanischer Abstammung und Afrodeutschen ausgeweitet werden.

Zu Beginn meiner Recherchen über ihre Schicksale während des Nationalsozialismus fand ich nur einzelne Puzzleteile. Diese fügten sich nach und nach zu einem erschreckenden Mosaik zusammen. Von den Überlebenden, deren Existenz in einem Erinnerungsvakuum verdrängt wurde, möchte ich Ihnen den verstorbenen Gert Schramm (1928-2016) vorstellen. Er wurde in Erfurt geboren wurde und im Alter von 15 Jahren im KZ Buchenwald interniert. Nach Kriegsende lebte er sowohl in der BRD, als auch der DDR und engagierte sich sowohl als Aktivist in der antirassistischen Bildungsarbeit, als auch als Autor einer Autobiografie: „Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann: Mein Leben in Deutschland“ (erschienen im Aufbauverlag).

Meine Begegnung mit ihm hat vor vielen Jahren in mir den Wunsch erweckt, den „von der Geschichte Vergessenen“ einen Namen zu geben und eine Kultur des Erinnerns, einer Pflicht des Erinnerns, zu etablieren. So gründete ich 2015 in Erlangen im Rahmen der von den Vereinten Nationen ausgerufenen Dekade für Menschen afrikanischer Abstammung (2015-2024) die „Black History Weeks“[1]. An deren ersten Auftaktveranstaltung nahmen drei Zeitzeugen teil, die als deutsche Afrodeutsche Opfer des Nazi-Regimes geworden waren. Diese Überlebenden sind: Gert Schramm, Marie Nejar[2] und Theodor Wonja Michael[3] (Theodor Michaels Buch wurde ins Französische übersetzt. „Deutsch und schwarz dazu“).

Verleihung des Bundestverdienstkreuzes mit Theodor Wonja Michael. Erlangen, 2015.

In einem Brief an die damalige Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel bat ich sie im März 2015, die Gruppe der Häftlinge afrikanischer Herkunft und die nicht europäischen Insassen der Konzentrationslager zu würdigen. In ihrer Rede anlässlich des 70. Jahrestags der Befreiung des Lagers Dachau am 4. Mai 2015 erwog Frau Merkel meine Anfrage und sagte wörtlich:

„Es handelte sich um Männer, Frauen und Kinder. Sie kamen aus ganz Europa. Darüber hinaus kamen sie aus vielen anderen Teilen der Welt, aus Asien, aber auch – was in der Öffentlichkeit noch kaum bekannt ist – aus Teilen Afrikas, aus dem Kongo, dem Senegal und aus Eritrea. Wir gedenken der rund 41 500 Menschen, die diese Hölle nicht überlebt haben“.

Ich danke der ehemaligen Bundeskanzlerin auch heute noch, dafür, dass sie damals Zeugnis abgelegt hat.

Je mehr wir über die Gräueltaten der Nazis berichten, je vollständiger wir verstehen, was die Nazi-Ideologie bewirkt hat, desto besser können wir uns weiterhin gemeinsam auf eine friedliche Zukunft vorbereiten. Und das ist angesichts des Wachstums rechtsextremer Parteien in vielen Teilen Europas und der Welt mehr als notwendig. Im Gedenken an die Opfer des Holocaust dürfen wir niemanden zurücklassen, kein Schicksal übersehen, ohne Tränen zu vergießen.

Am 27. Januar jedes Jahres ist es an der Zeit, sich des Ausmaßes der Übergriffe auf das jüdische Volk, der Narben, die dem jüdischen Volk hinterlassen wurden, bewusst zu werden. Der Gedenktag gibt uns Zeit und Raum, um unserer Pflicht zur Erinnerung nachzukommen. Wir sind traurig, fassungslos und überzeugt. Überzeugt davon, unsere Wachsamkeit gegenüber rechten menschenverachtenden Tendenzen, zu erneuern. Fassungslos und überzeugt angesichts einer fast unvorstellbaren Form der Grausamkeit, die Millionen von Menschen das Leben gekostet hat: Juden und Jüdinnen, Sinti und Roma, Menschen, die mit Behinderung(en) leben, LSBTQI*, Kommunist*innen und Sozialdemokrat*innen, Jesuiten und Priester, Zeug*innen Jehovas, sogenannte Asoziale, Kriegsdienstverweigerer, Widerstandskämpfer*innen und auch Schwarze Menschen oder Menschen afrikanischer Herkunft, Afrodeutsche und viele andere Minderheiten.

Mögen wir im Geiste der Toleranz zusammenleben und Menschen aller Religionen und Hautfarben unabhängig von ihrer Weltanschauung stets mit Respekt begegnen!

Quellen:

Pierrette Herzberger-Fofana. « Dominique Amigou Mendy (1909-2003), rescapé du camp de concentration de Neuengamme.» www.grioo.com/info5094.html 23.7.2005 

Pierrette Herzberger-Fofana. « Standing Ovation pour Gert Schramm, l’unique survivant du camp de concentration de Buchenwald.» www.grioo.com/ar,standing_ovation_pour_gert_schramm_l_unique_survivant_noir_du_camp_de_concentration_de_buchenwald_,22398.html 15.4.2012

Pierrette Herzberger-Fofana. «El Hadj Ousmane Alioune Gadio, Doyen des Anciens combattants, déporté en Allemagne (1920-2008)» www.grioo.com/ar,el_hadj_ousmane_alioune_gadio_doyen_des_anciens_combattants_deporte_en_allemagne_1920-2008_,15694.html 19.11.2008

Pierrette Herzberger-Fofana. « Une rose pour les Africains et leurs descendants, les victimes oubliées du camp de concentration de Buchenwald. » africpost.com/une-rose-pour-les-africains-et-leurs-decendants-oublies-du-camp-de-concentration-de-buchenwald.12.5.2015 ;

Pierrette Herzberger-Fofana. « Les victimes oubliées du camp de concentration de Buchenwald. » diasporaenligne.net/allemagne-les-victimes-oubliees-du-camp-de-concentration-de-buchenwald-par-dr-pierrette-herzberger-fofana/  Mai 2015 ; www.camer.be/42172/1:6/contact.html 16 Mai 2015

Pierrette Herzberger-Fofana. «The Only Black Survivor of the Concentration Camp of Buchenwald is dead: In Memoriam of Gert Schramm (1928-2016) » www.africanheritagemagazine.de/the-only-black-survivor-of-the-concentration-camp-of-buchenwald-is-dead-in-memoriam-of-gert-schramm-1928-2016/ 10 Juin 2016

Pierrette Herzberger-Fofana. « KZ Buchenwald: Gert Schramm – ein Afro-Deutscher überlebte » http://www.m-media.or.at/welt/europa/kz-buchenwald-gert-schramm-ein-afro-deutscher-uberlebte/2012/05/08/index.html 08 Mai 2012

Pierrette Herzberger-Fofana: Videobotschaft zu den Verfolgten afrikanischer Herkunft https://www.youtube.com/@MEP.DR.HERZBERGER-FOFANA

[1] https://herzberger-fofana.eu/en/ueber-mich/publikationen/

[2] https://www.buecher.de/shop/buecher/mach-nicht-so-traurige-augen-weil-du-ein-negerlein-bist/nejar-marie/products_products/detail/prod_id/20944488/

[3] https://www.stern.de/gesellschaft/in-koeln-hat-die-erste-schwarze-bibliothek-deutschlands-eroeffnet-31720670.html

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